Die Eventisierung des Fußballs: Umwidmung eines domänendominierten Ereignisses

Pünktlich zu Beginn des „Groß-Events“ EURO 2012, das ab kommenden Freitag in Polen und der Ukraine stattfinden und wieder mal Millionen von Menschen zur gleichen Zeit das Gleiche tun lassen wird (i. e. Fußball gucken!), würde ich gerne kurz einige Beobachtungen teilen, die ich bei der Rezeption der letzten (gefühlt) 20 Länderspiele der deutschen Nationalmannschaft gemacht habe.

Wer erinnert sich noch an so klassische Länderspiele wie gegen Albanien (EM-Quali, 18.12.1994, Kaiserslautern, 2:1) oder Ghana (Freundschaftsspiel, 14.04.1993, Bochum, 6:1)? An glorreiche Siege gegen Nordirland (EM-Quali, 08.09.1999, Dortmund, 4:0) und fieses Gepöhle gegen Finnland (WM-Quali, 06.10.2001, Gelsenkirchen, 0:0)? Dann erinnert ihr euch doch sicher auch an die Stimmung in den Stadien während dieser Spiele? Das Publikum rekrutierte sich aus der Mittelschicht (Tribüne) und zum deutlich größeren Teil aus denjenigen, die Fußball gerne im Stadion erleben und normalerweise einem mittelguten Bundesliga-Verein (siehe Spielorte) die Treue halten (z. B. diese Herren). Eher stumpfes „Deutschland, Deutschland“-Gerufe war aufgrund der fehlenden tradierten Schlachtrufe „aus der Kurve“ meistens der performative Höhepunkt. Wenn das Spiel jedoch nicht hielt, was sich die Besucher versprochen hatten (deutsche Dominanz und Tore), wurde gerne mal der eigene Heimatverein besungen („Ohne Werder wär‘ hier gar nichts los“) und vereinzelt auch Spieler von den ärgsten Rivalen ausgepfiffen. Alles in allem eine Fußballwelt der Vergangenheit, allerdings mit klaren Strukturen, Feindbildern und ritualisierten Handlungen („Männer, noch n Bierchen?“).

Mit der Gründung des „Fan Club Nationalmannschaft powered by Coca-Cola“ (Kein Witz! Man wüsste auch gar nicht, ob man lachen oder weinen sollte.) am 29. März 2003 (Tag des unendlich spannenden Länderspiels Deutschland gegen Litauen in Nürnberg, 1:1) versuchte der DFB, eine bestimmte Spezies „Fan“ zu organisieren, „um die deutsche Nationalmannschaft bei Länderspielen sicht- und hörbar zu unterstützen und den Fans des deutschen Teams eine bundesweite Plattform zum gegenseitigen Austausch und spezifische Serviceleistungen (Ticketzugang, Transport, Übernachtung) zu bieten.“ Dazu gehört auch die Einrichtung einer „Singing Area“ bei jedem Heimspiel, wo wahrscheinlich die besonders Euphorischen zusammentreffen und nach Art der Bundesliga bestimmte Gesänge zur Unterstützung anstimmen. Außer den üblichen Verdächtigen („Auf geht’s, Deutschland schießt ein Tor“) habe ich da allerdings noch keine besonders innovative Energie feststellen können.

Wenn man sich nun die Entwicklung sowohl des Publikums, als auch des mittlerweile institutionalisierten und formal immer gleichen „Drumherums“ bei Länderspielen ansieht, muss man feststellen, dass die Marketing-Menschen in Frankfurt ihr Ziel erreicht haben: Spiele der Nationalelf sind weichgespülte „Groß-Events“ geworden, mit Unterhaltung, lauter Stampfmusik und unwahrscheinlichen Konsum-Möglichkeiten rund ums und im Stadion. Den Kleinsten kann ein Schnuller in Schwarz-Rot-Geil, den Damen ein Schneidbrett (sic!) oder wahlweise ein Eierbecher und den Herren ein Mousepad oder ein Artikel aus der „Golf-Kollektion“ gekauft werden. Damit das Familien-Event aber rund wird, muss natürlich noch ein anti-alkoholisches Getränk zu überhöhten Preisen, dafür im im DFB-Design gestalteten Becher, erstanden werden.

Versteht mich nicht falsch: Ich plädiere nicht dafür, Familien und „DFB-Fans“, die sich vor 2006 noch nicht mal vorstellen konnten, ein Stadion zu besuchen, heute aber bei jedem Spiel der Mannschaft mit Gesichtsschminke bemalt vor Leinwänden sitzen, wieder aus den Stadien rauszuschmeißen. Ich kritisiere nur die Weichspülung und Konformität der zu Konsum- und Spaß-Events verkommenen Sportereignisse. Als jemand, der noch den alten Stil erlebt hat und der dem auch das ein oder andere abgewinnen konnte, muss ich mich doch sehr über die Mode-Fans wundern, die offensichtlich gezielt vom DFB angesprochen werden sollen (und die sich die geschätzt 50-100 Euro für ein Ticket leisten können) und die Länderspiel-Stadien bevölkern. Die Nationalmannschaft ist kein Verein mit gewachsener Fan-Basis, mit Ultras, die für ihren Klub alles tun (und damit meine ich explizit nicht Gewaltbereite), mit lokalen Netzwerken und einer jahrzehntealten Infrastruktur. Hier wird konsumiert. Man kauft sich ein vielleicht dreistündiges Feel-good-Ticket und lässt sich mitreißen von der ach so tollen Atmosphäre und David Garrett, der die Nationalhymne fidelt.

Dass aus allem, auch aus dem Volkssport in Deutschland, ein so genanntes Event gemacht wird, das bestimmte Gefühle wecken und schüren soll, das darauf ausgerichtet ist, „Erlöse“ zu erzielen und das dazu beiträgt, Kanten abzuschleifen und alles gleich rund zu machen – auch unter dem Deckmantel einer „guten Zeit für alle“ –, ist nervtötend, erschreckend und wenig erquicklich. Sich vor dem Hintergrund der bald beginnenden „Wochen des Gute-Laune-Patriotismus“ darüber ein paar Gedanken zu machen, empfinde ich nicht als Geste des Schlechte-Stimmung-Verbreitens, sondern der Bewusstmachung einiger Missstände bzw. Schieflagen in unserer (Konsum-)Gesellschaft.

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