Thomas Bernhard und die Fotografie

Vor einiger Zeit ist Thomas Bernhard in mein Leben getreten. Ein Freund schenkte mir den Titel „Auslöschung. Ein Zerfall“. Bernhards Art zu schreiben, zu denken, zu philosophieren und sich aufzuregen hat mich sofort gepackt. Dieser Stil!

Thomas Bernhard gilt als einer der bedeutendsten und meistdiskutierten deutschsprachigen Autoren des 20. Jahrhunderts. Er hatte vor kurzem Geburts- (9.2.) und vor noch kürzerem Todestag (12.2.). In „Auslöschung“ wettert der Ich-Erzähler auf 651 Seiten in Form eines nur einmal durch einen Absatz unterbrochenen Gedankenstroms gegen alles und jeden, der und das ihm missfällt. Im Besonderen treffen seine Schimpftiraden seine Familie (Anlass der „Auslöschung“ ist der Tod seiner Eltern und seines Bruders bei einem Autounfall), aber er gibt sich immer wieder allgemeineren Betrachtungen der Menschen und der Welt hin, nicht ohne an den meisten Dingen und Personen Fehler zu finden, die sich vortrefflich kritisieren lassen.

Ein ebensolcher Ausbruch, oder besser derer zwei, richten sich auch gegen die Fotografie. Ganz zu Beginn und fast am Ende eingebaut, bilden sie eine Klammer um die Geschichte, in deren erstem Teil die Reflektionen über die Mitglieder seiner Familie durch den „Protagonisten“ anhand von Fotografien derselben motiviert sind. „Franz-Josef Murau“ äüßert sich in einer derart scharfen und negativ-pessimistischen Form über die Fotografie, dass dieser (Foto-)Blog sofort vom Netz genommen werden müsste. Aber gerade diesem Schwall von Verachtung und Hass ist entschieden entgegenzutreten, mit dem Anspruch, die Natur nicht zu einer „perverse Groteske“ der Welt zu formen, die Würde der Fotografierten nicht zu verletzen und dem „Verdummungsprozess“ nicht anheim zu fallen. Gerne gebe ich Murau in einigen Punkten recht, doch ist sein Schlussplädoyer – wenn auch konsequent – nur der Weg des geringsten Widerstands.

„Die Fotografie zeigt nur den grotesken und den komischen Augenblick, dachte ich, sie zeigt nicht den Menschen wie er alles in allem zeitlebens gewesen ist, die Fotografie ist eine heimtückische perverse Fälschung, jede Fotografie, gleich von wem sie fotografiert ist, gleich, wen sie darstellt, sie ist eine absolute Verletzung der Menschenwürde, eine ungeheuerliche Naturverfälschung, eine gemeine Unmenschlichkeit.“

„Im übrigen hasse ich beinahe nichts auf der Welt mehr als das Herzeigen von Fotografien.“

„Im Grunde hasse ich Fotografien und ich selbst bin nie auf die Idee gekommen, Fotografien zu machen, […]. Ich verachte Leute, die fortwährend am Fotografieren sind und die ganze Zeit mit ihrem Fotoapparat um den Hals herumlaufen. Fortwährend sind sie auf der Suche nach einem Motiv und sie fotografieren alles und jedes, selbst das Unsinnigste. Fortwährend haben sie nichts im Kopf, als sich selbst darzustellen und immer auf die abstoßendste Weise, was ihnen selbst aber nicht bewußt ist. Sie halten auf ihren Fotos eine pervers verzerrte Welt fest, die mit der wirklichen nichts als diese perverse Verzerrung gemein hat, an welcher sie sich schuldig gemacht haben. […] Die fotografieren begehen eines der gemeinsten Verbrechen, die begangen werden können, indem sie die Natur auf ihren Fotografien zu einer perversen Groteske machen.“

„Das Fotografieren ist eine niederträchtige Leidenschaft, von welcher alle Erdteile und alle Bevölkerungsschichten erfaßt sind, eine Krankheit, von welcher die ganze Menschheit befallen ist und von welcher sie nie mehr geheilt werden kann.“

„Die Fotografie ist das größte Unglück des zwanzigsten Jahrhunderts. Bei der Betrachtung von Fotografien hat es mich immer wie bei nichts sonst geekelt.“ (S. 26-30)

„[W]enn wir ehrlich sind, ist der allgemeine Verdummungsprozeß schon so weit fortgeschritten, daß es kein Zurück mehr gibt. Mit der Erfindung der Fotografie, also mit dem Einsetzen dieses Verdummungsprozesses vor weit über hundert Jahren, geht es mit dem Geisteszustand der Weltbevölkerung fortwährend bergab. […] Stumpfsinnig betrachtet die Menschheit heute und seit Jahrzehnten nichts anderes mehr als diese tödlichen fotografischen Bilder und ist wie gelähmt davon. […] In einer solchen, nurmehr noch vom Stumpfsinn beherrschten Welt zu existieren, kann kaum mehr möglich sein […] und es wird gut sein, wenn wir uns gerade noch bevor dieser Verdummungsprozeß der Welt total eingetreten ist, umbringen.“ (S. 645-646)

Grotesk?

Wie passend, dass sich hier eine Verbindung ziehen lässt zu dem Fragment von Richard Huelsenbeck. Seitenzahlen aus: Bernhard, Thomas, Auslöschung. Ein Zerfall, Suhrkamp: Frankfurt 1988.

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One Response to Thomas Bernhard und die Fotografie

  1. Joseph Neuys sagt:

    Schick, schick. Ich würd mir dann gern später das Leseexemplar zum Ausleihen mitbringen lassen wollen.
    Vielleicht im Tausch gegen Halswärmer? Falls der Winter wieder kommt.

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